Ich finde den Rücktritt konsequent (wenn auch in der Form und Kürze überzogen).
Die von Köhler gegebene Begründung hingegen war lächerlich, weil sie den Rücktritt argumentativ ad absurdum führte (wenn man diese Begründung denn als aufrichtig einstufen wollte).
Wenn das denn alles - die Kritik an seiner Einlassung zur Durchsetzung deutscher Wirtschaftsinteressen die Bundeswehr einzusetzen - nur haltlose Unterstellungen ohne Grundlage wären, dann müsste er auch nicht von jetzt auf gleich zurücktreten.
Das war wirklich eine erbärmliche Begründung, weil er im Prinzip damit es so hingedreht hat, dass er wegen bösartiger (aber angeblich faktisch unhaltbarer und substanzloser) Kritik zurücktritt.
Wegen falscher Unterstellungen und noch so bösartiger - aber eben unbegründeter - Kritik muss niemand zurücktreten.
Er hat sich damit quasi selbst zur beleidigten Leberwurst gemacht.
Kindisch.
Andererseits ist es natürlich nicht zu erwarten, dass jemand in einer solchen Position sich hinstellt und öffentlich zugibt, dass er schlicht im übermüdeten Zustand eine mißvertändliche Äußerung getan hat und sich dafür entschuldigt.
Das konnte Köhler so nicht öffentlich (verbal) erklären.
Der schnelle Rücktritt als solcher ist jedoch der Beleg für die Einsicht, dass er einen schweren Fehler begangen hat, da seine Äußerung im krassen Gegensatz zum Grundgesetz und der dort festgelegten Grundlagen für den Einsatz der Bundeswehr steht.
Man muss Köhler sicherlich zugute halten, dass er sein Amt anders genutzt hat als viele vorher gedacht hatten.
Er hat sich kritischer zu Fragen der Real-Politik geäußert als erwartet und wie hier schon andere aufgezeigt haben auch in konkreten Fällen die Unterschrift unter hastig zusammengeschusterte Gesetze verweigert.
ReCoN hat geschrieben:
Deutschland meiner Ansicht nach immer würdig repräsentiert und die von der Politik eher ignorierten Misstände deutlich artikuliert hat.
Ja, seh ich auch so.
Wobei ich jedoch auch kris2f beipflichte, dass das doch häufig sehr oberflächlich und gestanzt wirkte.
Wirklich interessant ist doch:
ReCoN hat geschrieben:
Obwohl er den deutschen Bürgern bei Amtsantritt so gut wie unbekannt war, hat er sich im Laufe der Zeit zu einer geschätzten Persönlichkeit entwickelt
Genau da liegt doch der Igel im Salz !
Dass er sein Amt im großen und ganzen (bis zum Rücktritt) anständig ausgefüllt hat, ist ja schön und gut.
Bloß die Art und Weise wie er in dieses höchste Amt im Staate gelangt ist, wirft ein ganz düsteres Bild auf den Zustand unserer Demokratie.
Der Bundespräsident soll ja der höchste Repräsentant des Volkes sein.
Wenn dann jemand der der breiten Öffentlichkeit vollkommen unbekannt ist im Hinterzimmer zum Bundespräsident "gemacht" wird, ist das eine Form von gelenkter Demokratie.
Gut, das ganze Konstrukt mit der Bundesversammlung ist natürlich vor den historischen Erfahrungen aus der Weimarer Republik entstanden.
Stichwort: Hindenburg und dessen Unterstützung für Hitler.
Die Väter und Mütter des Grundgesetzes (+ Alliierte Siegermächte) wollten eben unter allen Umständen vermeiden, dass das Volk durch eine Direktwahl des Präsidenten (und sei es nur indirekt so wie durch die Wahl von Opa Hindenburg) einem Populisten (damals Hitler untertützt durch von Hindenburg) "auf den Leim geht".
Man hat es in der Hinsicht nach meiner Einschätzung mit den
Vorsichtsmaßnahmen jedoch übertrieben.
Der Bundespräsident ist im Gegensatz zum Reichspräsidenten in seinen praktischen politischen Befugnissen sowieso stark eingschränkt.
Der Bundespräsident ist in erster Linie wirklich nur der höchste Repräsentant des Volkes (jedoch eher symbolisch und eben nicht durch konkretes politisches Handeln).
Dessen Wahl dann durch die Wahlmänner und Wahlfrauen der Bundesversammlung durchführen zu lassen, ist quasi eine doppelte Sicherung.
Vor Horst Köhler haben sich die jeweils am politischen Drücker befindlichen Parteien zumindest noch die Mühe gemacht einen Kandidaten zu finden, welcher der Öffentlichkeit bekannt ist und dementsprechend auch über ein Ansehen verfügt.
Einen Nobody (allenfalls Lesern von Capital und den wenigen ausführlichen Lesern der Wirtschaftsteile anderer Zeitungen bekannt) quasi zu "inthronisieren" war jedoch im Prinzip ein Akt des politischen Zwanges.
Es wurde ein Mechanismus (Wahl durch die Bundesversammlung) welcher ursprünglich zum Schutz der Demokratie installiert wurde, dazu benutzt die Demokratie (die Meinung des Volkes) vollständig zu umgehen.
Denn die Delegierten der Bundesversammlung sind eben keine Vertreter des Volkes, sondern Vertreter der gewählten Parteien !
Man könnte dagegen natürlich argumentieren, dass das Volk die Parteien durch die Wahlen zu Bundes- und Landtagen natürlich erst in die Positionen gebracht hat einen derartigen politischen Einfluß auszuüben (Delegierte zur Bundesversammlung zu entsenden).
Formal ist das sicherlich richtig.
Nun kommt jedoch das große Aber:
Der "Fall" Köhler zeigt doch exemplarisch auf welchem Wege die öffenliche Meinung manipuliert werden kann.
ReCoN hat geschrieben:
Obwohl er den deutschen Bürgern bei Amtsantritt so gut wie unbekannt war, hat er sich im Laufe der Zeit zu einer geschätzten Persönlichkeit entwickelt.
Eben auch mit relativ großer Zustimmung in der Bevölkerung.
Entscheidend ist:
Es muss nur lang genug medial kommuniziert werden, dann schluckt die Bevölkerung jede Entscheidung.
Genauso wie viele jetzt Frau Merkels "Begründungen" ("alternativlos" etc.) im Zusammenhang mit der Finanzkrise (aktuell die Griechenland Pleite) schlucken.
Und wenn man sich dann die Einlassungen eines - eher weniger in Verdacht von Neo-Liberalismus- und Konservatismus-Sympathie stehenden - Giovanni di Lorenzo (Die Zeit) bei Reinhold Beckmann anhört, wo er u.a. alle politischen Bewegungen jenseits der etablierten Parteien als populistisch brandmarkt, dann zeigt dass, wie stark unsere Demokratie von einigen tausend (oder hundert ?) Politikern und Journalisten medial dominiert wird.
Wenn man die Anteile an abgegebenden Stimmen der derzeit regierenden Parteien von CDU und FDP bei der letzten Bundestagswahl auf die wahlberechtigte Bevölkerung umbricht, dann werden wir von einer Regierung vertreten, welche knapp 34 Prozent der Wahlberechtigten repräsentiert.
Und wenn dann wiederholt selbst in solchen angeblich als links geltenden Polit-Magazinen wie Panorama (Kontraste, Monitor) von den Moderartoren (z.B. Anja Reschke) Formulierungen verwendet werden wie: "Nun hat sich ja eine Mehrheit der Deutschen bei der Bundestagswahl für die Koalition von CDU und FDP entschieden ......", dann habe ich eher den Eindruck, dass wir in einer medial gelenkten Mehrparteien-Diktatur leben und nicht in einer Demokratie.
Alle kritischen Berichte haben da eher eine Ventil-Funktion.
Solange sich am Ende alle Journalisten darauf einigen, dass die Regierung (derzeit CDU und FDP) die Mehrheit hat (angeblich vertritt) und einige Entscheidungen eben "alternativlos" sind, dann bleibt alles wie es ist.
Ist halt alles "alternativlos".
Ja, ist es das tatsächlich ?
Jeder der eben Alternativen sieht, ist dann halt Populist.
Ist ein Feind der "freiheitlichen" (Kapital-Strom) Ordnung und damit angeblich kein Demokrat.
Die Frage ist nur: Was ist Demokratie ?
Demokratie ist eben kein Zustand.
Demokratie muss immer wieder erneuert, erkämpft und verteidigt werden.
Aber wir leben ja schon in der perfekten Demokratie und Mutti Merkel wird schon wissen was sie tut.
Und bald fängt die Fußball-WM an.
Wenn schon kein Brot da ist (weil das Geld dafür "alternativlos" in Kapital-Konstrukten verschwindet), wird das Volk zumindest mit Spielen abgelenkt.
Ja haben sich denn alle (!) Journalisten und Politiker verschworen ?
Nein, natürlich nicht.
Ansonsten wäre ich ja nicht nur Populist, sondern auch noch Verschwörungs-Theoretiker.
Die Begriffe Populist, Verschwörungs-Theoretiker und ihre Verwendung ist im Zusammenhang mit dem Medium Internet das perfekte Mittel um jede Form von substantieller Kritik zu entschärfen.
Man muss garnicht mehr auf Argumente im Detail eingehen, man setzt einfach ein breites Grinsen auf und winkt ab.
Praktisch.
Ich sehe keine Verschwörung, sondern einen sich verstärkenden medialen Selbst-Resonanz Prozess.
Die Rolle der neueren elektronischen Medien und ihre rechtliche Stellung im Rahmen einer demokratischen Ordnung muss neu hinterfragt werden.
Insbesondere hinsichtlich der politischen Einflußnahme durch politische Parteien (u.a. durch Fernseh-Räte) und Wirtschafts-Lobbys (Beeinflußung durch Kapital-Ausstattung).
In diesem Zusammenhang möchte auf ein Buch des früheren Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) verweisen, welcher schon 1991 feststellte:
"Die deformierte Demokratie : Parteienherrschaft in Deutschland"
ISBN: 3421065985
Und wo ich gerade bei Hans Apel bin (Mitgründer des Seeheimer Kreises innerhalb der SPD) und mir dann anhören muss, dass der derzeitige Sprecher des Seeheimers Kreises Garrelt Duin als Nachfolger von Köhler Peer Steinbrück vorschlägt, dann habe ich eher den Eindruck von Augsburger Puppenkiste und nicht eines ernsthaften politischen Diskurses.
Und so ist der Vorschlag Frau von der Leyen auch vollkommen abwegig.
Vielleicht in 20 Jahren eine Option.
Weil: wenn jetzt schon das Amt des Bundespräsidenten dafür herhalten müsste, unliebsame Konkurrenten unschädlich zu machen, dann wäre ein neuer Tiefpunkt erreicht.
Mit dem Arbeitsministerium hat man ihr doch schon einen derart schweren Stein ans Bein gebunden (ist doch kein Blumentopf zu gewinnen).
Als einziger der bisher genannten, käme nach meinem Empfinden jemand wie Norbert Lammert in Betracht.
Oder welchen ernsthaften Kandidaten seht ihr ?